6. TEXTPROBEN



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Bande a part Bande à part
Jedes Mal, wenn wir Krieg spielten, wurde Jon sofort von einer Kugel getroffen. Er fiel um, noch bevor die Schießerei so richtig losgegangen war, und rief so laut, dass alle es hören konnten: „Ich bin getroffen! Ich bin getroffen!“ Mit der Zeit zielten wir schon gar nicht mehr auf ihn. Das war nur Verschwendung von Munition. Trotzdem fiel er um, und es war das gleiche Spiel wie immer: „Ich bin getroffen! Ich bin getroffen!“ Doch nun kümmerte sich niemand mehr darum. Niemand außer Catinca, denn sie war die Krankenschwester. Sie lief durch den Kugelhagel, um den verletzten Soldaten zu retten. Sie kniete sich hin und legte das Ohr auf seine Brust, um nach dem Herzschlag zu horchen. Aus den Augenwinkeln konnte ich Jons dicke Finger an ihrem dunklen Haar herumfummeln sehen. Sie streichelte ihm über die Wange und flüsterte ihm mit ihren perfekten Lippen ein paar liebevolle Worte zu. Mit brennenden Augen stürmte ich den feindlichen Posten entgegen.
Ich hatte ihn seit vielen Jahren nicht mehr gesehen - bis vor ein paar Tagen. Er lief auf die U-Bahn zu, in der ich saß, mit dieser charakteristischen Schweinsnase, über die wir uns immer lustig gemacht hatten: Da blies der Wind zu den Nasenlöchern hinein und aus den Ohren wieder heraus. Er kam genau einen Moment zu spät, um sich noch schnell durch die Türen zu schieben. Als sich unsere Blicke durch die Fensterscheibe trafen, streckte ich den Zeigefinger aus und formte mit den Lippen ein lautloses „Peng!“ Das Letzte, was ich sah, bevor die Dunkelheit des Tunnels die U-Bahn verschluckte, war Jon, der auf dem Bahnsteig umfiel.